Martin Luther 500 Jahre später: Stereotype, Wahrnehmung und Erinnerungskultur
Das Gespräch mit Dr. Hole Rößler, Stellvertretenden Leiter der Abteilung Forschungsplanung und Forschungsprojekte der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel über die Jubiläumsfeier der Reformation in Deutschland
Ein bedeutender Teil des Erfolges jeder politischen, gesellschaftlichen oder kulturellen Bewegung ist die Marke, welche diese für sich selbst schafft. Die Marke macht eine Bewegung erkennbar, versammelt Menschen unter einer Fahne und gibt ihnen damit ein Gefühl der Einigkeit. Im Laufe der letzten 500 Jahre, seitdem Luther im Blickfeld der Öffentlichkeit erschien, hat die Gestalt Luthers viele bedeutende Veränderungen erfahren, welche ihren Ausdruck auf den Seiten der verschiedenen Flugblätter und Flugschriften gefunden haben. Jede Zeit hatte ihr eigenes Lutherbild. Diese waren zumeist geprägt von den verschiedenen sozialen und politischen Umständen, von Zeiten der Krisen und Aufschwünge. Luther war ein bequemes Werkzeug, sowohl für die Protestanten, als auch für Katholiken. Die Breite öffentlicher Anklagen, die seine Werke erregt hatten, ermöglichten es, die Gestalt des Publizisten in jede benötigte Richtung zu transformieren. Er wurde zu einem Symbol, einer Art Logo für seine Bewegung, welche sich besonders in einer sozialen Dimension bemerkbar machte: als ein Werkzeug der positiven wie der negativen Propagierung beider konfessioneller Parteien, förderte seine Figur den Zusammenhalt oder die Spaltung der Bevölkerung[1].
Bilder spielten als Kommunikationsmethode hierbei keine unwichtige Rolle – sie machten die Propagierung besonders bunt und einprägsam und erreichten dazu auch Analphabeten. Die von der Propagierung geschaffene Gestalt Luthers fand eine feste Verkörperung in eben diesen Bildern. Auf solche Art und Weise waren Bilder eine mächtige Waffen in den konfessionellen Auseinandersetzungen Die Vielzahl illustrierter Flugblätter unter den Quellen dieser Zeit bestätigt dies eindrücklich.
Darüber hinaus scheint es wichtig zu bemerken, dass viele Lutherdarstellungen wiederholte Muster aufwiesen – sie waren somit stereotypisch. Hierunter fallen beispielsweise die Darstellungen als Antichrist, als Monster oder als ein Tier.
Lutherbilder hatten ihre eigene Herkunft und ihre eigene Geschichte. Hierüber gibt die Ausstellung Luthermania in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (15.01.2017 – 18.06.2017), die Luther als Kultfigur gewidmet worden[2] ist, gründlich Auskunft. Gleichzeitig berichtet sie ausführlich über die Vielfalt der Lutherdarstellungen.
Der Kurator der Ausstellung, Herr Dr. Rößler, gab einen Kommentar zur Ausstellung und beantwortete einige Fragen über die Mehrdeutigkeit der Lutherwahrnehmung im Laufe der Zeit.
Bild 1. Dr. Hole Rößler, Stellvertretenden Leiter der Abteilung Forschungsplanung und Forschungsprojekte der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel (Deutschland)
Herr Rößler, lassen sich für die 500 Jahre, die seit dem Beginn der Reformation vergangen sind, Tendenzen in den Darstellungen Luthers erkennen? Hatte jede Zeit den für sie typischen Luther?
Ja, natürlich. Das betrifft natürlich nicht nur Luther, sondern wir können bei vielen Berühmtheiten der Geschichte sehen, dass sie im Laufe der Zeit immer wieder anders wahrgenommen und dargestellt worden sind. Wir haben uns das für die Ausstellung bei Luther einmal genauer angeschaut. Da steht am Anfang „Luther der Heilige“, also etwa Luther mit dem Heiligenschein, der von manchen auch als Sankt Lutherus bezeichnet wird. Die Gegenseite macht aus Luther natürlich den Teufel oder den Antichrist. Die Zeiten änderen sich und das Lutherbild ändert sich mit ihnen. 18. Jahrhundert etwa beruft sich die Aufklärung auf Luther. Das 19. Jahrhundert, das Jahrhundert der Nationalstaaten beruft sich auf Luther als den großen Vordenker der deutschen Nation. Als Christen ging es in Luther natürlich um die Reformation der gesamten Christenheit, vor allem das 19. Jahrhundert macht ihn aber zu „Luther, dem Deutschen“. Wie so häufig werden historische Figuren verwendet, um eigene Interessen und Ansprüche zu legitimieren; nach dem Muster „Das ist gar nicht neu, das haben die Alten schon gesagt“. Das ist das Prinzip ‚Legitimation durch Geschichte‘. Und deswegen wurden im 19. Jahrhundert die ganzen Lutherdenkmäler gebaut. Das hat nichts mit Theologie zu tun; das ist Politik.
Warum betrachtete der Nationalismus im 19. und frühen 20. Jahrhundert die Reformation eher als ein politisches Ereignis?
Das war eine preußische Interpretation der Reformation. Man hat Luthers Gegnerschaft zum Papsttum umgedeutet als Kampf gegen Rom, gegen äußere Beeinflussung. Im 19. Jahrhundert, in der ersten Hälfte, gab es denn sogenannten Kulturkampf. Preußen wollte die Führung der deutschen Länder übernehmen und ist stark gegen die politische Macht der „Ultramontanen“[3], d.h. die papsttreuen Katholiken, vorgegangen und hat dazu auch Luther als Vorkämpfer der politischen Souveränität installiert. Auch Luther habe ja schon gegen die Römer, gegen das päpstliche Rom gekämpft. Luther wurde zu einer Figur der Souveränität erhoben. Ein zweiter wichtiger Aspekt war die Idee der nationalen Einheit. Auch da konnte man sich auf Luther berufen, weil er angeblich den Deutschen ihre Sprache geschenkt hat. Die Bibelübersetzung habe nämlich dazu beigetragen, jenseits territorialer Grenzen Einheit über Sprache herzustellten. Das war eine Lesart, die sehr erfolgreich und einflussreich war und die das Lutherbild bis weit ins 20. Jahrhundert hineingeprägt. Bedauerlicherweise bis heute.
Besonders beeindruckend waren die Flugblätter, die Luther als Teufel oder Antichrist darstellen. Ich glaube, dass sie in ihrer Zeit auch die größte öffentliche Aufmerksamkeit erregten. Könnten Sie vielleicht irgendwelche Gebiete markieren, wo man solchen Flugblättern öfter begegnen konnte? Wo war Luther besonders unbeliebt?
Das ist nicht ganz leicht zu beantworten. Nicht nur die Gegner Luthers, auch seine Anhänger haben ja Flugblätter für ihre Sache verwendet. Es gibt eine enorme Zahl an diffamierenden Flugblätter von protestantischer Seite. Sie zeigen etwa den Papst im Bund mit dem Teufel oder wie er von der Hölle verschluckt wird. Viele sehr unflätige Darstellungen gibt es natürlich auch. Und dann gibt es die Flugblattproduktion im süddeutschen Raum, also in katholischen Landstrichen, die ebenso eifrig druckten. Man muss aber nicht annehmen, dass das immer aus ideologischen Gründen geschah. Es gab in dieser Zeit einen großen Markt für diese Art von Literatur – und Drucker sind ja in erster Linie Kaufleute. In der Frühzeit findet das vorwiegend im süddeutschen Raum statt, Mitteldeutschland zieht etwas später nach.
Was kann man öfter sehen: Luther, den Heiligen oder Luther, den Teufel? Oder hängt es von der Zeit und der Region ab? Gab es einen konkreten Zeitraum, in dem Luther mehr Heiliger als Teufel war?
Gute Frage! Zunächst gehört beides natürlich zusammen. In dem Maße, in dem Luther die zentrale Identifikationsfigur der Protestanten wurde, haben sich auch die Altgläubigen ihn benutzt, um diese zu kritisieren. Man könnte vielleicht sagen, je ‚heiliger‘ Luther für die Protestanten wurde, desto ‚teuflischer‘ wurde er für die Katholiken. Das bedingte einander sehr stark und blieb so bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, dann flaute diese Form der Auseinandersetzung im Zuge der politischen Konsolidierung langsam ab. Luther war nicht mehr nur Heiliger oder Teufel, sondern man versuchte sich wieder stärker auf theologische Themen zu konzentrieren. Was die Frage angeht, von was gibt es mehr, antipäpstliche oder antilutherische Flugblätter, so kann ich keine konkrete Zahl nennen. Die Produktion an Flugblättern und Flugschriften war ja enorm groß. Gerade im 16. Jahrhundert war das ein gigantischer Markt, und ich bin nicht sicher, ob jemand schon versucht hatte, das zu zählen. Vielleicht haben die Protestanten, also die „heilige Fraktion“ ein bisschen mehr gedruckt, weil sie viele große Druckereien hatte. Aber das ist nur eine Vermutung.
Wie stark wurde Luther eigentlich vergöttert? Mich interessiert vor allem, ob es irgendwelche Spuren davon in der Kunst oder in der Einrichtung von Kirchen gab, ob er etwa als Gott oder Christus dargestellt wurde.
Nein, als Gott nicht, aber er galt immer als Mann Gottes; er wurde als Prophet bezeichnet und er bekam ein Heiligenschein. Kleine Lutherfiguren wurden in manchen Kirchen auf den Altar neben die Figuren von Heiligen oder Kirchen gestellt. Luther vor dem Kreuz – aber eben nicht am Kreuz.
Das ganze war zunächst mal ein Ausdruck der Suche nach einer adäquaten Darstellung, aber auch der Legitimation. Was ich damit meine: Ab einem bestimmten Zeitpunkt war die Reformation in Gange, war nicht mehr rückgängig zu machen. Und zugleich brauchte man aber eine Rechtfertigung für das, was man da angezettelt hatte. Und da war es naheliegend Luther als den „Mann Gottes“ darzustellen, der quasi seinen Auftrag direkt von oben bekommen hatte. Das ist dann schon ein Argument – vielleicht für uns kein besonders gutes, aber seine Zeit ein recht schlüssiges. Das kann man auch ein an seinen „Reliquien“ erkennen. Das ist dann schon eine Entwicklung des 17. Jahrhunderts: In den Lutherstuben in Wittenberg und auf der Wartburg gab es ja schon früh einen Luther-Tourismus. Die Besucher wollten natürlich ein Souvenir haben. Weil es aber noch keinen Museumshop gab, mussten sie improvisieren und haben von den Möbeln kleine Holzstücke abgeschnitten. So lange bis die komplett kaputt waren. Aber dieses Holz soll ein bisschen wundertätig gewesen sein, es habe gut gegen Zahnschmerzen geholfen heißt es. Also fast so wirksam wie eine katholische Reliquie.
Die Lutherische Kirche brauchte doch keine Wunder für die Legitimation. Dennoch gibt es so viele Wundererzählungen über Luther. Wofür war das notwendig?
Man muss das vielleicht so sehen: in der Zeit, in der diese Geschichten, diese Legenden aufgekommen sind und sehr populär waren, gab es ja nicht die protestantische Kirche. Vielmehr gab es „Landes“- oder „Territorialkirchen“, wenn Sie so wollen. D.h. es gab keine einheitliche, obrigkeitlich gesteuerte „Propaganda“. Und zudem gab es alle möglichen Anhänger Luthers, die sich in verschiedener Weise äußerten. Um die besondere Rolle Luthers und seiner Kirche hervorzuheben, griffen manche dann auf Stoffe zurück, die ohnehin populär waren, also Wundergeschichten und Heiligenlegenden. Man wusste, dass das beliebt war – und auch dass man solche Stoffe gut verkaufen konnte; für die Verleger war das ja auch ein Geschäft. Und ideologisch war das völlig in Ordnung oder zumindest unbedenklich. Mann kann aber nicht sagen, dass die Kirche das unbedingt wollte oder gefördert habe. Aber unter den Gläubigen, das kann man aufgrund der Verbreitung dieser Geschichten, kam das gut an. Zur allgemeinen Beliebtheit von Volkssagen und anderen populären Erzählstoffen passte es wunderbar – und wenn Luther darin eine Rolle spielte, war es natürlich noch besser.
Wie reagierte die katholischen Kirche darauf? Es gab ja etwa die Erzählung von einem Exorzismus, den Luther erfolgreich durchgeführt haben soll.
Die Geschichte, auf die sie anspielen, hat tatsächlich eine Replik erfahren[4]. Die Austreibung des Teufels sei demnach missglückt und Luther in Angst und Schrecken umhergelaufen. Es ist im Grunde Geschichte, sie wurde nur anders herum erzählt. Das ist ein schönes Beispiel, wie unterhalb der eigentlichen Kontroverstheologie Erzählungen zwischen den konfessionellen Lagern zirkulieren und als „Argumente“ umfunktioniert werden.
Manchmal wurde Luther auch als Held dargestellt. Ist das etwas neues für die Epoche oder kann man in diesem Fall eher über von einer mittelalterlichen Tradition sprechen?
Sie vermutlich vielleicht auf den bekannten Holzschnitt von Hans Holbein an, in dem Luther als Hercules Germanicus dargestellt ist[5]. Das rekurriert natürlich auf antike Vorbilder. Darüber hinaus transportiert es sicher auch mittelalterliche Heldenvorstellungen. Man muss aber sagen, auch wenn dieses Bild immer wieder reproduziert wird, man durchaus bezweifeln darf, dass es sehr weit verbreitet war. Die Heroisierung von Luther fand vorwiegend in Texten statt, wo Luthers Wunder oder Heldentaten geschildert wird. In den Bildmedien, dem Flugblatt etwa, gibt es natürlich auch Darstellungen Luthers als Bezwinger des Papsttums, insgesamt aber überwogen wohl andere Motive[6].
In der Ausstellung Luthermania konnte man viele Privatsachen von Luther sehen. Wann begann man eingentlich das persönnliche Leben von Luther gründlich zu erforschen?
Luthers Leben war schon im 16. Jahrhundert ein Feld für die Forschung – auch wenn es natürlich eine andere Art der Forschung war als heute. Im Rückblick kann man sagen, dass das tendenziös und ideologisch verbrämt war. Aber das wird man über unsere heutige Forschung wohl auch einmal sagen – man forscht ja nie ohne die „Brille“ der eigenen Zeit. Ich würde aber sagen, nach dass man sich vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland um ein differenzierteres und kritischeres Lutherbild bemüht hat – auch und gerade von protestantischer Seite. Man fragte, welche Rolle er für die deutsche Geschichte spielte. Das hatte damit zu tun, dass Luther vor dem Krieg und in Nazi-Deutschland intensiv als Legitimationsfigur bemüht worden war. Nicht zueltzt für den Holocaust. Luthers „Judenschriften“ sind natürlich fürchterlich, aber man hat sich darauf berufen, um die Verfolgung der Juden zu rechtfertigen. Es stand ja schon bei Luther, dass man die Synagogen anzünden solle. Das war dann nach dem Krieg natürlich ein bisschen zuviel. In den 50en Jahren begann man daher, sich dafür zu interessieren, welchen EinlfussLuther tatsächlich auf den Lauf der deutschen Geschichte hatte. War er der „große Deutsche“ oder verlief die Geschichte vielleicht etwas andere? Auch die Sozialgeschichte der 70er Jahre hat starken Einfluss auf das moderne Lutherbild genommen; es ökonomische Fragen hinzugezogen, so dass man die Reformation und die Person Luthers heute stärker in ihrem Kontext sieht – und damit auch den Verlauf der Geschichte nicht mehr ganz so stark auf Luther hin zuschneidet. Was wir in diesem Jahr in Deutschland erleben, ist aber in weiten Teilen wieder eine Engführung auf die Person Luther, was für Historikerinnen und Historiker eigentlich unerträglich sein muss, weil das im Grunde die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts ist. Also: Geschichte wird von den „großen Männern“ gemacht. Das ist ganz fürchterlich! Insofern würde ich sagen, ab den 50en Jahren beginnt eine andere Geschichtsschreibung über Luther, die nicht mehr so stark an der Biographie interessiert ist, sondern versucht, Luther in einem möglichst weiten Kontext, der politische, soziale, ökonomische und mediale Aspekte einbezieht, zu sehen.
Hat eigentlich der Judenhass etwas an der Wahrnehmung von Luther verändert? Vielleicht verdarb er die Autorität Luthers?
Ja und nein. Zu Luthers eigener Lebenszeit und auch in den zwei Jahrhunderten danach spielten diese Schriften eigentlich keine Rolle. Sie wurden dann, zwischen 1933 und 1945 von deutschen Protestanten wieder ausgegraben, um die Vertreibung und Vernichtung der Juden zu legitimieren. Und dann nach 1945 wurden diese Schriften natürlich besonders angeguckt, weil man ein bisschen erschrocken war. Das war ein Ansatzpunkt der kritischen Auseinandersetzung mit Luther. Heute wird das – vor allem im Zuge des Reformationsjubiläums – gerne verschwiegen oder zumindest in den Hintergrund gestellt. Unangenehm wird es aber dann, wenn Luther als Aufklärer oder als Vorbild für religiöse Toleranz dargestellt wird. Das ist dann schon sehr weit weg von dem, was er über Juden und Moslems geschrieben hat.
Die Lutherrose wurde meistens als Schutzzeichen angesehen. hat sie auch andere Bedeutungen?
Natürlich! Ursprünglich ist diese Lutherrose der persönliche Symbolus von Luther, d.h. ein Zeichen, das vorwiegend privat gebraucht wurde war. Erst als er mehr und mehr mit Raubdruckern zu kämpfen hatte, die nicht nur seine Schriften nachdrucken, was dazu beitrug die Reformation zu verbreiten, sondern auch die deutsche Bibel. Das wurde deswegen zum Problem, weil Raubdrucker schnell und ungenau arbeiteten. Als Reaktion ließ er die Rose in die Bibel drucken, zusammen mit der Beischrift „Dieses Zeichen sei Zeuge, dass solche Bücher durch meine Hand gegangen sind“. Die Raubdrucker haben trotzdem natürlich weitergedruckt, sehr fleißig sogar, aber sie haben die Lutherrose nicht kopiert. So gab es dann das die „Originalausgabe“ und die Kopie der Bibel auf dem Markt. Ein ziemlich gute Idee, die, soweit ich sehe, tatsächlich ganz originell war. Aber eigentlich war es ein theologisches Symbol, für Luther ein persönliches theologisches Symbol, das dann über die Verbreitung im Druck, auf Medaillen und in anderen Medien einen „Markencharakter“ bekam und später zum Logo der evangelische Kirche wurde.
Gab es viele Kopien von Luthers Werken ? Wie berechtigt war die Erfindung eines solchen Logos?
Ja, es gab unendlich viele Nachdrucke von Luthers Schriften. Meistens arbeiteten die Raubdrucker sehr schnell, weil sie die Bücher schnell auf dem Markt bringen wollten. Und wenn man schnell arbeitet, passieren schnell Fehler. Und wir haben den Fall, , dass Luther in Wittenberg eine Predigt hielt, und diese in Augsburg gedruckt wurde, noch bevor sie in Wittenberg erschien. Man arbeitete sehr, sehr schnell. Das war vor allem im Fall der Bibel ein Problem, denn wenn man aus der Heiligen Schrift die Heilsbotschaft empfangen soll, dann sind Fehler im Text natürlich fatal. Es bestand die Gefahr, dass die ganze Exegese gestört wird.
Und danach, nach der Erfindung und Einführung der Lutherrose, versuchte jemand seine Werke zu nachzudrucken?
Natürlich, das hat keinen abgehalten. Es gab ja so gut wie keine juristische Handhabe dagegen, es gab kein Copyright und es gab auch noch keine richtigen Privilegien. Natürlich konnte man sich bei der zuständigen Obrigkeit beschweren, und Luther macht das ja auch, etwa beim Stadtrat von Augsburg. Aber das blieb meistens vergebens. Letztlich war es schon damals eine Entscheidung der Käufer, ob sie das Original aus Wittenberg – mit der Rose – haben wollten oder die günstigere Kopie.
Welche allgemeinen Tendenzen können Sie in der öffentlichen Meinung über die Reformation heute feststellen? Was bedeutet die Reformation in den Augen vor allem der deutschen Gesellschaft?
Mit einer solchen Gegenwartsdiagnose tue ich mich sehr, sehr schwer. Aber eine Teilantwort kann ich vielleicht doch geben: Es gab am Sonntag ein Artikel in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung[7], der berichtet, dass das große Lutherjubiläum in diesem Jahr eigentlich desaströs verläuft, weil sehr viel weniger Leute in die Ausstellungen und an den Kirchtag gekommen sind, als man erwartet hat. Ich weiß natürlich nicht, was die Leute heute über Luther denken, aber man kann wohl sagen, sehr viel Leuten ist Luther ganz herzlich egal.
Ist das ein Merkmal der fortschreitenden Säkularisierung der Gesellschaft?
Möglicherweise. In der deutschen Gesellschaft ist es ja so, dass insbesondere durch die Teilung Deutschlands eine signifikante Zahl der heutigen Bevölkerung im Grunde areligiös ist. Die Kirche in der DDR war sozial sehr engagiert, aber die Politik zielte auf eine atheistische Gesellschaft. Das war recht erfolgreich und ist heute spürbar. Dass die ganzen Lutherstädte im Osten Deutschlands liegen, ist eine Ironie der Geschichte. Jedenfalls muss man sich nicht wundern, dass die Menschen sich dafür nicht besonders interessieren, weil es eine Kultur ist, in der sie selbst nicht groß geworden sind. Ich glaube, dass es sicherlich zum Teil mit dem Prozess der allgemeinen kulturellen Säkularisation in Europa zu tun hat. Zum zweiten hat es mit der jüngeren deutschen Geschichte zu tun. Nicht zuletzt gibt es, was Luther angeht, wohl auch eine gewisse Ermüdung oder Sättigung. Seit 2007 hat man dieses Jahr vorbereitet, sogar eine „Lutherdekade“ ausgerufen und damit viel kulturellen Druck aufgebaut. Das war aber über zehn Jahre nicht aufrecht zu erhalten. Aber vielleicht ist Luther auch heute nicht mehr interessant. Vielleicht, was wäre zumindest meine Hoffnung, interessieren uns nicht mehr die großen Helden, sondern mehr gesellschaftlichen Fragen.
[1] Rößler, H., „Martin Luther – eine Kultfigur und ihr Sockel“, in: „Luthermania. Ansichten einer Kutlfigur“, Wiesbaden, 2017, S. 20.
[2] Ibid., S. 16.
[3] Die Politik des Katolizismus zielte auf die Unterordnung der Nationalkirchen unter die Bestimmungen und Beschlüsse der römischen Kurie, was wiederum Einfluss auf die nationale Politik hatte.
[4] Für die lutherische Variante siehe etwa Sebastian Fröschel: Von den heiligen Engeln. Vom Teuffel. Und des Menschen Seele. Wittenberg: Seitz, 1565, Bl. L v – LV v. Zur katholischen Variante siehe Friedrich Staphylus: Nachdruck zurverfechtung des Buchs Vom rechten waren verstand des Göttlichen worts, und Von der Teütschen Bibel verdolmetschung. Ingolstadt: Weyyenhorn, 1562, S. 155 r.
[5] http://luthermania.de/files/original/312b8ed49be672f49848d355cb67ee9e.jpg
[6] Bspw. http://luthermania.de/items/show/1368
[7] Ralph Bollmann: Luther – die Pleite des Jahres, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Nr. 27, 9. Juli 2017, S. 21. http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/beim-luther-jahr-bleiben-die-besucher-weg-15097663.html
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